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KonflikteNahost

Guterres: "Der Nahe Osten steht am Abgrund"

Veröffentlicht 15. April 2024Zuletzt aktualisiert 15. April 2024

Nach dem Angriff des Irans auf Israel haben die Vereinten Nationen vor einer weiteren Eskalation gewarnt. Generalsekretär António Guterres wählte dramatische Worte. Die USA warnen Israel vor Vergeltungsschlägen.

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UN-Generalsekretär Antonio Guterres spricht im Sicherheitsrat
UN-Generalsekretär António Guterres (l.) warnt im Weltsicherheitsrat vor einer Eskalation im Nahen OstenBild: Charly Triballeau/AFP/Getty Images

Nach dem ersten direkten Angriff des Irans auf Israel hat UN-Generalsekretär António Guterres alle Seiten zu äußerster Zurückhaltung aufgerufen. Er verurteilte den Beschuss mit Drohnen und Raketen und warnte vor einer weiteren Eskalation. "Der Nahe Osten steht am Abgrund", sagte Guterres am Sonntag bei einer Sondersitzung des Weltsicherheitsrates in New York. "Die Menschen in der Region sind mit der realen Gefahr eines verheerenden umfassenden Konflikts konfrontiert. Jetzt ist es an der Zeit, die Lage zu entschärfen und zu deeskalieren."

Der israelische Botschafter Gilad Erdan zeigt im UN-Sicherheitsrat einer Person Dokumente.
Israels UN-Botschafter Gilad ErdanBild: Fatih Aktas/Anadolu/picture alliance

Israels Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan, sagte bei der Sitzung des UN-Gremiums, der Iran sei "die Nummer eins unter den weltweiten Terror-Förderern" und habe durch den Angriff auf Israel "sein wahres Gesicht als Destabilisator der Region und der Welt enthüllt". Erdan forderte die Mitglieder des Sicherheitsrats auf, nun "alle möglichen Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, bevor es zu spät ist". Insbesondere dieiranischen Revolutionsgarden müssten als Terrororganisation eingestuft werden.

Irans Gesandter Saeid Iravani bei UN-Sicherheitsratssitzung
Irans UN-Botschafter Saeid IravaniBild: Fatih Aktas/Anadolu/picture alliance

Irans UN-Botschafter Amir Saeid Irawani bestand hingegen auf Teherans "Recht auf Selbstverteidigung". Nach der ausgebliebenen UN-Verurteilung des Angriffs auf das iranische Konsulat in Syriens Hauptstadt Damaskus habe der Iran in seiner Reaktion "keine andere Wahl" gehabt. Teheran wolle zwar keine Eskalation, werde aber auf "jede Bedrohung oder Aggression" reagieren, warnte er.

Warnung vor Vergeltungsaktionen

Der britische Außenminister David Cameron forderte Israel auf, nach dem iranischen Angriff auf Vergeltungsmaßnahmen zu verzichten. Das Vorgehen der Teheraner Führung sei ein fast völliger Fehlschlag gewesen und man solle sich weiterhin auf die Vereinbarung einer Waffenruhe im Gazastreifen konzentrieren, sagte er im Sender Sky News.

Zuvor hatte schon US-Präsident Joe Biden den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach Darstellung aus Washington dazu angehalten, einen möglichen Vergeltungsschlag gegen den Iran und dessen Folgen sorgfältig abzuwägen. Biden habe Netanjahu in einem Telefonat am Samstagabend (Ortszeit) "sehr deutlich" gemacht, dass man "sorgfältig und strategisch über die Risiken einer Eskalation nachdenken" müsse, sagte ein hochrangiger US-Regierungsvertreter am Sonntag in Washington. Die USA als Israels wichtigster Verbündeter hatten dabei geholfen, Irans Großangriff gegen Israel abzuwehren.

Großangriff mit Drohnen und Raketen

Der Iran hatte in der Nacht zum Sonntag erstmals in der Geschichte der Islamischen Republik seinen erklärten Erzfeind Israel direkt angegriffen. Israels Armee berichtete von rund 300 Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern, die fast alle abgefangen worden seien. Unterstützung kam dabei von den USA, Großbritannien, Frankreich und Jordanien. Allein die US-Streitkräfte hätten mehr als 80 Drohnen und mindestens sechs ballistische Raketen zerstört, mit denen Israel attackiert werden sollte, teilte das US-Regionalkommando Centcom am Montagmorgen auf der Plattform X mit.

Drei leuchtende Objekte am dunklen Himmel, die Rauch hinter sich her ziehen
Mutmaßliche iranische Luftgeschosse über Jerusalem am 14. April 2024Bild: Ronen Zvulun/REUTERS

Der Iran stellte den Angriff als Vergeltungsschlag für die Tötung hochrangiger Offiziere in Syrien dar. Am 1. April waren bei einem mutmaßlich von Israel geführten Luftangriff auf das iranische Konsulatsgelände in Damaskus 16 Menschen getötet worden, darunter zwei Brigadegeneräle der mächtigen iranischen Revolutionsgarden.

Israelisches Kriegskabinett ohne Beschluss

Israels Staatsführung hat Medienberichten zufolge noch nicht entschieden, wie sie auf den iranischen Angriff vom Wochenende reagieren soll. Das Kriegskabinett habe bei mehr als dreistündigen Beratungen am Sonntagnachmittag keinen Beschluss über das weitere Vorgehen gefasst, berichtete die Zeitung "Times of Israel". In den kommenden Tagen sollten weitere Gespräche geführt werden, meldete auch das Nachrichtenportal "Axios" unter Berufung auf einen israelischen Beamten. Bei der Sitzung seien mehrere Optionen für einen möglichen israelischen Vergeltungsschlag erörtern worden.

Vor der Sitzung des Kriegskabinetts hatte der israelische Außenminister Israel Katz in einem Interview des Armeesenders erklärt: "Wir haben gesagt: Wenn der Iran Israel angreift, werden wir im Iran angreifen. Und dieses Bekenntnis ist immer noch gültig." 

Auswirkungen auf Flugverkehr

Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) rät weiterhin zur Vorsicht im israelischen Luftraum sowie in einem Umkreis von rund 100 Seemeilen um das Land. Auch im iranischen Luftraum rät sie dazu, Vorsicht walten zu lassen. Sie beobachte die Lage im Nahen Osten genau, erklärt die EASA, fügte aber hinzu, dass zu keinem Zeitpunkt eine Überfluggefahr für die zivile Luftfahrt bestanden habe.

Eine Boeing 747 der Lufthansa steht am Flughafen Ben Gurion
Boeing 747 der Lufthansa auf dem Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv (Archiv)Bild: Georg Ismar/dpa/picture-alliance

Angesichts der Spannungen im Nahen Osten hat die niederländische Fluggesellschaft KLM bis Dienstag alle Flüge von und nach Tel Aviv gestrichen. Auch die Lufthansa Group setzte alle Flüge nach Amman, Beirut, Erbil und Tel Aviv bis einschließlich Montag aus. Auf seiner Internetseite teilte das Unternehmen mit, dass ab Dienstag der reguläre Flugbetrieb zu den drei Zielen wieder aufgenommen werden soll. Flüge nach Beirut und Teheran blieben allerdings bis mindestens Donnerstag ausgesetzt. Darüber hinaus würden alle Flüge des Konzerns die Lufträume über Israel, Jordanien und dem Irak bis auf weiteres umfliegen.

Irans Flughäfen haben dagegen ihren Betrieb wieder aufgenommen. Wie die Nachrichtenagentur Isna am Montag berichtete, ist die Sperrung des Flugverkehrs in den frühen Morgenstunden aufgehoben worden. Auch die beiden Flughäfen in der Hauptstadt Teheran kehrten demnach in den Normalbetrieb zurück.

Angst vor antisemitischen Anschlägen

Als Reaktion auf die Eskalation in Nahost nach dem iranischen Angriff auf Israel verstärkt Frankreich die Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Einrichtungen. Angesichts des bevorstehenden Pessachfestes Ende des Monats und der aktuellen internationalen Lage seien die örtlichen Behörden angewiesen worden, die Sicherheit an Orten, die von jüdischen Mitbürgern besucht würden, wie insbesondere Synagogen und jüdische Schulen, deutlich zu erhöhen, schrieb Innenminister Gerald Darmanin auf der Online-Plattform X.

Auch der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Felix Klein, befürchtet nach dem iranischen Angriff auf Israel ein weiteres Aufflammen von Antisemitismus in Deutschland. "Der terroristische Anschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat zu einem beispiellosen Anstieg antisemitischer Straftaten in Europa geführt", sagte er dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Montag): "Der Angriff Irans auf Israel sollte nun nicht als weiterer Vorwand für antisemitische Aktionen in Deutschland dienen."

Er rufe dazu auf, "dass der fatale Mechanismus zwischen erhöhten Spannungen im Nahen Osten und antisemitischer Hetze bei uns endlich einmal durchbrochen wird". "Das wäre gut für die politische Kultur in Deutschland", sagte Klein.

mak/se/haz (dpa, rtr, epd, afp)